40 Jahre Posthof

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Andreas Hasch | 

Es muss mächtig gebrodelt haben, in Linz um 1980. Künstler:innen aus allen unterbeleuchteten Ecken des Undergrounds kochen vor Kreativität, finden aber kein Ventil, um ihr Schaffen nach außen zu bringen. Kaum bis keine Auftrittsmöglichkeiten, kaum Proberäume, kurz: keine vernünftige kulturelle Infrastruktur, die es ihnen erlaubt, sich vor Publikum zu präsentieren oder sich gar auf einer Bühne an internationalen Acts zu messen. Abseits der etablierten Häuser für das ernste Fach und sporadischen Konzerten in der Stadthalle, der heutigen TipsArena, darben die Stahlstadtkinder in einer gegenwartskulturellen Wüste.

Dabei fehlt es nicht an alternativen, selbstgeschaffenen Biotopen, die schon in den 1970er Jahren kräftige Triebe zeitigten: Hippie-Kommunen außerhalb der Stadt, Open-Air-Konzerte am Eela-Craig-Bauernhof in Lichtenberg, die aufkeimende Punkszene im Café Landgraf um Bands wie Willi Warma und Miss Molly’s Favourites, die alte Stadtwerkstatt, das Andere Kino, das E-Schmid, der Linzer Jazzclub, der Bluesclub, neue Galerien, freie Theatergruppen und manches mehr.

Throwback 1984
Viel von dieser Energie kanalisiert sich unter der Dominanz lokaler Musiker:innen in der Initiative "Linzer Szene für ein Rockhaus". Und so kommt der im Besitz der Stadt stehende Posthof, ein brachliegendes Areal am Hafen, um 1750 als Poststallmeisterei errichtet, ins Spiel. Doch nicht ein reines Rockhaus, sondern ein Zeitkulturhaus für Musik, Tanz, Theater, Kleinkunst und Literatur plus Proberäumen für Linzer Bands eröffnet hier am 1. September 1984. Und zwar mit einem spartenübergreifenden Programmfeuerwerk: Es gastieren die zu dieser Zeit hoch im Kurs stehenden walisischen Haarspray-Rocker The Alarm, die im Fahrwasser von U2 kurzfristig aufs europäische Festland hereinschwappen, und es gibt experimentelles Theater mit dem italienischen Teatro Nucleo. Wenig später folgen The Cult, The Fall, Otto Grünmandl, Ernst Jandl, Johnny Melville, Die Schmetterlinge, The Style Council, Tuxedomoon, Wim Vandekeybus & Ultima Vez oder Wire, um nur einige wenige schwer subjektive Highlights zu nennen.

Unter professionellem Management, die ersten Monate von Beni Altmüller und Ruth Matzinger, später von Werner Ponesch und Christian Strasser, bieten Formate wie "Heimspiel" für lokale und nationale Bands, "Tanztage" oder "Linzer Kleinkunstfestival" kulturelle Nahversorgung am Puls der Zeit. Vor allem im "MusikMosaik"-Monat Oktober sieht man sogar Wiener Szenemenschen im schwarzen Wams, die es ansonsten kaum aus der Hauptstadt treibt, zu Nick Cave & The Bad Seeds, Einstürzende Neubauten, The Gun Club oder The Cramps in den Posthof einfallen. Denn, wenn solch düstere Heroes in Deutschland unterwegs sind, wird in Linz gern ein Tourstopp eingelegt, während Wien schon zu weit ab vom Schuss ist. Es bildet sich aber darüber hinaus ein viel breiteres Spektrum an Musikfarben im Posthof ab: Soul-Fans pilgern zu Bobby Womack oder Curtis Mayfield, Pop-Feingeister zu Lloyd Cole & The Commotions und Edwyn Collins, Bluesheads zu Luther Allison oder B.B. King, Reggae-Aficionados zu Linton Kwesi Johnson oder Shabba Ranks, Jazzer zu Joe Zawinul oder dem Sun Ra Orkestra.

Viele der Künstler:innen treten in der Frühphase ihrer Weltkarriere im Posthof auf - Björk mit ihrer ersten Band The Sugarcubes etwa. Aber natürlich kann der Posthof nicht mit solchen Shootingstars kapazitätsmäßig in den Himmel mitwachsen. Weil das Programm aber vom Start weg einen überwältigenden Anklang beim Publikum findet, platzt der Posthof bald aus allen Nähten. Ein Zubau wird dringend nötig.

Der Posthof 2 mit größerer Bühne und Platz für rund 1.200 Zuschauer:innen eröffnet 1990. Nicht nur aufwändige Theater- und Tanzproduktionen können hier realisiert werden, es gibt auch großes Kino für die Ohren: Iggy Pop, The Ramones, Kraftwerk, Die Ärzte, Die Toten Hosen, Falco, Nina Hagen, Blur, Seeed, Jerry Lee Lewis, Billy Talent, Volbeat, Elvis Costello, Editors, Tocotronic, um nur ein paar der unzähligen Big Names zu nennen, die sich hier die Klinke in die Hand geben. Nicht zu vergessen: Auch eine heimische Spitzenband wie Bilderbuch legt im Posthof vor 20 Jahren los, es sind Parov Stelar oder Wanda zu Gast und Folkshilfe bespielen von klein auf die drei Bühnen des Hauses.

Hier spielt also die Musik. Aber der Posthof rockt auch abseits der Tonkunst mit zeitkulturellen Sternstunden. Unter der Ägide von Wilfried Steiner, selbst preisgekrönter Autor, findet die obdachsuchende heimische Literatur-, Theater- und Tanzszene hier eine neue Heimat. So kommt neben den schon von Steiners Vorgänger zu internationalem Renommee geführten TanzTagen im Jahr 2000 das TanzTageLabor für junge, experimentierfreudige Choreograf:innen hinzu. Und im selben Jahr eröffnet erstmal der LiteraturSalon, in dem bis heute zeitgenössische Autor:innen auf leselustiges Publikum treffen.

Dass sich Linz neben Wien als zweite Hochburg der Kleinkunst im Land etabliert, kann sich der Posthof ebenfalls bedenkenlos ans Revers heften. Vielfach ausverkaufte Kabarettabende mit Stammgästen wie Josef Hader, Andreas Vitásek, Alfred Dorfer und Thomas Maurer oder auch bayerischen Publikumsmagneten wie Gerhard Polt, Sigi Zimmerschied und Martina Schwarzmann zählen regelmäßig zu den bestbesuchten Veranstaltungen. Das bleibt auch dem Forum Salzburger Stier, der seit 1982 alljährlich einen der bedeutendsten Kabarettpreise im deutschsprachigen Raum vergibt, nicht verborgen: 2023 geht ein Ehrenstier an das Posthof-Team, das - so die Juror:innen - seit der Gründung unermüdlich an der Etablierung des Genres Kabarett in Österreich mitgewirkt hat.

Was den Posthof bei Künstler:innen so beliebt macht? Sie schätzen einfach die Kombination aus Hospitality, Technik, Professionalität und Begeisterung, die anderswo vielleicht nicht in dieser Form anzutreffen ist, und kommen - wenn sie noch unter uns weilen oder nicht inzwischen Stadien bespielen - immer gerne wieder.

Für die Stadt und die Region ist der Posthof ein wichtiger Arbeitgeber, ein Ort der Identitätsbildung und Integration, aber auch eine Reibefläche für andere kulturelle Hotspots, wie etwa die fast zur selben Zeit wie der Posthof gegründete Kapu. Im Posthof werden oft unter den Nägeln brennende Themen auf die Bühne gebracht. Hier darf aber auch einfach nur hedonistisch abgefeiert werden, wie bei den legendären ganznächtlichen Danube Raves, wo sich das Who's who der (inter-) nationalen Techno- und Elektronikszene von Laurent Garnier über Westbam und Sven Väth bis Kruder & Dorfmeister einfindet.

Fast forward ins Jetzt
Nach dem frühen Ableben von Werner Ponesch, der den Posthof viele Jahre gemeinsam mit Wilfried Steiner managt, übernimmt Gernot Kremser im Jahr 2010 das musikalische Ruder. Und mit ihm kommen neue Formate, wie der Musikcontest "Lautstark!", die "summer sessions" im Rosengarten am Pöstlingberg (u. a. mit Cat Power, Billy Bragg oder Bonnie 'Prince' Billy) oder das "Ahoi! Pop Festival". Letzteres startet 2012 als Weekender im Zeichen des popmusikalischen Edelgeschmacks mit Acts wie The Divine Comedy, Shy, Kraftklub, Badly Drawn Boy, A. G. Trio, Neneh Cherry, Pantha du Prince oder St. Vincent. Später wird "Ahoi! Pop" dann auf den ganzen Herbst ausgedehnt und kulminiert schließlich ab 2016 im "Ahoi! The Full Hit of Sommer Festival" im Donaupark - mit Sigur Ros, Beirut, Arcade Fire, CHVRCHES oder The National. 


Der Posthof ist also ungebrochen motiviert, Menschen mit dem Zeitkultur-Virus zu infizieren. Doch dann beschert ein anderes Virus eine dunkle Stunde. Licht aus heißt es während der Corona-Lockdowns, nix geht mehr. Als dann Zusammenkünfte wieder - unter strengen Auflagen - erlaubt sind, ist der Posthof unter den ersten, die sich daran wagen, Live-Veranstaltungen zu machen. Ein Kind dieser pandemischen Zeit ist auch die FrischLuft-Bühne an der Rückseite des Hauptgebäudes. Bis zu 2.200 Gäste finden hier Platz, um mit Element of Crime, Paolo Nutini oder Meute in den Sonnenuntergang zu grooven. Und wenn hier ein Reggae-Superstar wie Ziggy Marley auftritt, schließt sich übrigens ein Kreis. Denn einer der größten Gäste bei den Baustellen-Konzerten noch vor der Eröffnung 1984 ist ein anderer Superstar aus Jamaica: Jimmy Cliff.

Zukunftsmusik
Und was bringt nun die Zukunft? Manches, wie der Posthof-Auftritt in komplett neuem, der sozial-medialen Ära entsprechenden Design oder die supergemütlich umgestaltete Backstage-Area ist schon fertig. Anderes ist in der Pipeline und vieles natürlich noch nicht absehbar. Eins ist aber fix: Wenn Streamingplattformen und sogenannte Künstliche Intelligenzen das Schaffen und Konsumieren von Musik noch weiter umkrempeln, wird gerade dadurch das Live-Erlebnis nur noch wichtiger. Ein Konzert, eine Performance, eine Theateraufführung, eine Lesung, ein Kabarett- oder Comedyabend ist eben nicht reproduzierbar und durch keine andere Darreichungsform zu toppen.

Ein anderer Kampfschauplatz: die Konzentration im globalen Konzertbusiness. Selbst wenn sie weiter voranschreiten sollte und der Raum unterhalb der Oberliga immer weiter ausgehöhlt zu werden droht - er bleibt lebendig. Dafür garantiert auch "Liveeurope", ein Zusammenschluss der "Posthöfe Europas", der viel zum Blühen der kleinen, mittleren und beinahe großen Musikgewächse über die Grenzen hinweg beiträgt.

Vieles wird wohl anders, aber die Zeitkultur am Hafen bleibt. Denn das seit 1984 geltende Posthof-Motto wird auch in Zukunft nichts von seiner Relevanz verlieren. Zeitkultur nicht verstanden als Geheimwissenschaft, jedoch mit vielen kulturellen Easter Eggs, die überraschen, herausfordern und manchmal vielleicht auch anecken können. Am 31.8.2024 darf aber erst mal richtig gefeiert werden - mit allen, die mitfeiern wollen und mit alten Freunden aus Hamburg: Kettcar und Thees Uhlmann. Happy 40th Birthday, Posthof!

  



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