"Von Sonne krank und ganz von Regen zerfressen/ Geraubten Lorbeer im zerrauften Haar/ Hat er seine ganze Jugend, nur nicht seine Träume vergessen/ Lange das Dach, nie den Himmel, der drüber war."
Die Hauspostille wendet sich an das Gefühl des Lesers und dessen Verstand. Die Lektüre empfiehlt sich in Zeiten roher Naturgewalten und in Stunden des Reichtums, dem Bewusstsein des Fleisches und der Anmaßung. Zu singen ist sie unter Anschlag harter Misslaute. Sie hat zum Motto: Zum Dank dafür, dass die Sonne sie bescheint, werfen die Dinge Schatten.
So heißt es in der Anleitung zum Gebrauch von "Bertolt Brechts Hauspostille", die der Dramatiker 1916 begann und immer wieder neu ordnete. Ein wilder Brecht arbeitet sich hier an den Rändern des Asozialen ab. Er feiert die Verfluchten und säuft mit den Geächteten. Seine dunkle Poesie weidet sich an der schaurigen Schönheit des Morbiden - ein Vorbild für Ikonen der Popkultur wie Iggy Pop, Nick Cave, Tom Waits oder Tim Burton. Verführte, ertrunkene Mädchen in "seichten, braunversumpften Teichen", Mordlust, Geilheit, Gier und rohe Gewalt, kurz alles Abgründige, Schmutzige, das die brave Elterngeneration verschämt hinter blütenweißen Gardinen versteckt, wird tabulos ans Licht gezerrt.
Lars Eidinger hat als Schauspieler ein Faible für Figuren, die etwas zu verbergen haben. Für den vorliegenden Abend nimmt er einen tiefen Atemzug und bringt Brechts Gedichtsammlung mit der musikalischen Begleitung von Hans Jörn Brandenburg am Klavier, Spinett, Keyboard und Harmonium als radikal funkelndes Gesamtkunstwerk auf die Bühne. 14 der 50 Gedichte sind vertont.
"Schockierte Stille, gefolgt von tosendem Applaus" (Westfälische Nachrichten)