• lido k
    lido k
  • salut salon c gabo k
    salut salon c gabo k
  • nils frahm c markus werner k
    nils frahm c markus werner k
  • mathias tretter c enrico meyer k
    mathias tretter c enrico meyer k
Essays

WERNER VOGT

TERMINALMEDIZIN


Do. 01.11.2001

Auszug aus einem Festvortrag von Professor Traugott Rudolf, Institut für Neueste Geschichten, gehalten zur Eröffnung des Symposions "Treffsicherheit als lebens-umfassendes Gestaltungsprinzip":

Sehr geehrte Frau Vizekanzler, lieber Herr Sozialminister, hochgeschätzter Herr Landeshauptmann, meine Damen und Herren!

Natürlich ist es mir eine, aber lassen wir das Gerede von der Ehre. Die Zeit drängt und ich mit ihr. Nur wer den Tod genau bedenkt, kann Lebensökonomie verwirklichen. Zur Sache. Terminalmedizin ist ein umfassender Begriff für ein vielfältiges Geschehen. Zunächst einmal ist zu unterscheiden zwischen einer "MEDIZIN VOM ENDE" und einer "MEDIZIN AM ENDE". Erstere befasst sich wissenschaftlich mit dem vorbereiteten und geplanten, individuellen oder Gemeinschaftstod, während "Medizin am Ende" das pure Gegenteil vorbereitet: das umfassende Überleben, den sterbefesten homo aeternus. Die Frage von Leben und Tod soll somit in einer letzen Anstrengung einem lächerlichen Schicksal entrissen werden. Ob - und zu welchem Zeitpunkt - ein Leben zu beenden ist, das eben ist eine Frage der Terminalmedizin. Einfacher ausgedrückt: wir liquidieren das zufällige und überraschende Ende, wir respektieren aber auch den individuellen oder kollektiven vorzeitigen Wunsch.

Lebenserwartung, also Lebenslänge und Gesundheitsplanung sind ein untrennbares Begriffspaar. Das ungebremste Hochziehen der Lebenserwartung hinterlässt eine Fülle störender und unentwegt sich ändernder Folgeprobleme für den Staat. Soziale und moralische Standards belasten den Staatshaushalt, vermehren die Lohnnebenkosten und gefährden den Standort Österreich. Befreien wir uns von diesen Belastungen. Es gibt auch ein Leben nach dem Sozialstaat. Kürzer und billiger wird es sein. Der wuchernden Lebenserwartung wird ein Ende gesetzt. Was früher Kriege, Pest und Cholera vermochten, wir vermögen es auch.

Terminalmedizin ist geplante Lebenserwartung einerseits, andererseits und zwangsweise damit verbunden wohl auch geplantes, würdevolles Sterben. MEVOTERM (Medizin vom Ende) steht vor der Tür, fällt ein in Städte, Dörfer, den Gemeindebau. Dem sozialen Wohnbau folgt die liberale Entsorgung.

Wir kennen zwei Finalsituationen: das Ende von Außen-Oben, die große Katastrophe, das Ende von Innen-Unten, das Loch im Sozialbudget und - nicht zu vergessen - die TV-Lebens-Ermüdung. Die Finalsituation I ist eine Domäne der aus der Kriegsmedizin sich herleitenden Katastrophenmedizin, deren herausragendes Instrument die TRIAGE ist. Statt Hilfe und Rettung, die es nicht mehr gibt, Einteilung und Ordnung. Ich pflege an dieser Stelle die drei Gruppen der Triage zu referieren, möchte aber heute, wenige Wochen nach dem 11.September, darauf verzichten. Nur soviel am Rande: ab einer bestimmten, also überzogenen Katastrophengröße ist auch Triage hilflos, wird auch ein weiteres Prunkstück der Katastrophenmedizin, die TRANSPORTMEDIZIN sinnlos. Die Fragen: War der Hubschrauber da, hat jemand Christophorus gesehen, sie verstummen und wir mit ihnen.

Widmen wir uns also der Finalsituation II: Das geplante Loch im Sozialbudget, die Nutzung der TV-Lebensermüdung. Meine Damen und Herren, nichts ist beschämender als Elend und Not.

Schon der Anblick bettelnder Kinder, der Geruch unterstandsloser Freigesetzter, noch viel mehr aber die hartnäckige Begehrlichkeiten verarmter Bevölkerungsschichten sind eine Zumutung für jene, die es zu einem bisschen abweisenden Wohlstand gebracht haben. Das von ihnen, Herr Landeshauptmann, zurecht so hochgeschätzte Instrument der Daumenschraube, greift zu kurz. MEVOTERM ist das Rationalisierungssystem der Stunde. Wir haben den geplant freiwilligen, gesetzlich geschützten, jahrgangsweisen, würdigen Gemeinschaftstod im Auge. Nach der jährlich so lustlos verlaufenden Sozialdebatte im Parlament erfolgt die Einberufung zu Abberufungsfeier und Schlussmarsch. Das Ende muss aufwendig, hinreißend, gefühlsbetont inszeniert werden. Die Finalmarschteilnehmer müssen stolz auf ihren Schlussmarsch sein können. Es muss was für das Auge des unmittelbaren Zuschauers geboten werden, der Letztauftritt der geköderten Lebensmüden muss aber auch den Live-Fernsehbedingungen gerecht werden. Groß und menschenwürdig muss inszeniert werden. Die Verarmten und Herabgekommenen, die Ausgeschlossenen und Versager, sie müssen mit erhobenem Haupt von uns gehen können. Standesbeamte in Talaren werden die Ordnerdienste verrichten, jeder Schlussmarschierer trägt eine Friedhofsrose, die Frauen tragen weiße Schleier, die Männer möglichst grüne Monturen. Die Finalrede muss schlicht aber doch bedeutsam sein. Es kann, aber es muss nicht ein Bischof sein, der das Wort an die Letzen ergreift.

Kommen wir zum Schluss zur individuellen, intimen Variante. Am Amt für Lebensermüdung melden sich all jene, die beschlossen haben, 50 Jahre Fernsehen ist genug. Zustimmung für diesen Plan erreicht uns aus allen Bundesländern. Emil Zack, ehem. Schichtarbeiter, jetzt seit Jahren freigesetzt: "Ich habe schon 32 mal 'Verdammt in alle Ewigkeit' gesehen." Grete Zumutinger, ehem. Gattin: "Ich möchte bei Vera sterben."

Sie sehen, meine Damen und Herren, der Tod ist keine Altersfrage mehr, das ungeplante Sterben hat ein Ende. Der Sensenmann hat ausgespielt, der Heimgang in Würde ist unsere Sache, ist Sache der TERMINALMEDIZIN.


Werner Vogt ist Arzt, Publizist und Mitinitiator des Volksbegehrens "Sozialstaat Österreich". Demnach soll dem Art. 1der Verfassung ("Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus.") folgender Absatz hinzugefügt werden:
"Österreich ist ein Sozialstaat. Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die soziale Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als eigenständige Ziele. Vor Beschluss eines Gesetzes wird geprüft, wie sich dieses auf die soziale Lage der Betroffenen, die Gleichstellung von Frauen und Männern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt (Sozialverträglichkeitsprüfung). Die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut erfolgt solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme. Die Finanzierung der Staatsausgaben orientiert sich am Grundsatz, dass die in Österreich lebenden Menschen einen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen Beitrag leisten."
Weitere Infos unter www.sozialstaat.at.
 



Samstag, 27. April 2024

NEWS

Ersatztermin in Planung, bereits gekaufte Tickets behalten Gültigkeit und müssen nicht umgetauscht werden
Laufend aktualisiert: Umplanungen, Verschiebungen, Absagen auf einen Blick
LINZ AG FrischLuft Open Air 2024 von 29. Mai bis 31. August am Linzer Hafen

Specials